Chiffre der Gewalt
Heinz Ohff im Tagesspiegel am 27.10.1982
So soll es wohl sein, aber so gut funktioniert es nur selten. Hermann Krauth, Mannheimer des Jahrgangs 1954, in Berlin Schüler von Volkert, Petrick, Stöhrer und (neuerdings) Baselitz, hatte eine Ausstellung in einer Selbsthilfegalerie, dritter Hinterhof, vier Treppen hoch. Durch eine Kritik mit Abbildung (im Tagesspiegel) aufmerksam geworden, besuchte eine Galeristin die Kulmer Straße, und neun Monate später zeigt sie nun von ihm die nächste Ausstellung, es sind auch schon eine ganze Menge roter Punkte an den übrigens durchaus erschwinglich gebliebenen Arbeiten zusammen gekommen.
Krauth malt In der Hauptsache Köpfe und Akte. Die Köpfe entstammen alle einer Art von Kopfgerüst, das unter den Eindrücken einer Mittelamerikareise entstanden ist, die expressive Skizze eines Generals. Die Akte orientieren sich in Farbe und Duktus nach de Koonings frühen „Frauen“-Bildern. Beide Linien scheinen höchst erfolgreich weitergeführt. Aus den Köpfen sind ganze Kopflandschaften geworden, die mitunter ein wenig an Antonio Saura erinnern, um so mehr als viele gleichsam in einem Zug gemalt sein könnten wie ein ostasiatisches Schriftzeichen, eher die Gebärde eines Kopfes als ein Gesicht. Eine „Sitzende Frau“, ebenso lapidar, aber farbkräftiger hingeworfen, zeigt, daß Krauth seine Akte wohl als Halte- und Ruhepunkt ansieht: die gestenreiche Expression bleibt vorhanden, dominiert das Bildgeschehen aber nicht mehr.
Das tut sie nach wie vor bei einem neuen Thema, nämlich der Kreuzigung.
Der junge Maler hat dieses uralte Thema aufgegriffen wie einst Picasso den Stierkampf: als variantenreiche Möglichkeit, Gewalt und Unfrieden in Form einer Chiffre und allgemeinverständlich, da seit Jahrhunderten, Jahrtausenden überliefert, darzustellen, als Möglichkeit, Gegenwart auf eine Vergangenheit zu beziehen, die nahe geblieben ist, weil sie zur Ur-Erinnerung gehört und weil sie am Ende niemals überwunden worden ist. Kreuz, Christus, der Legionär mit der - durch einen roten Pinselstrich eher an- als ausgedeuteten - Lanze, die wechselnden Perspektiven im gleichen Bild, von hoch oben und von unten, sowie die spürbare Erregung des Malvorgangs geben dem Doppelbild, aber auch einer „Komposition mit Kreuzen und Flächen", eine visuelle Spannung, wie sie nur wenige - Wilde hin, Heftige her - in diesen Tagen erreichen, da sich so viele auf eben diese Spannung zu konzentrieren scheinen. Es ist die Bildenergie, die so besonders beeindruckt.
Heinz Ohff, geboren 1922, gestorben am 24. Februar 2006 in Berlin, war von 1961 bis 1987 Feuilletonchef des Berliner »Tagesspiegel«. Von ihm liegen zahlreiche Biographien vor, unter anderem über Königin Luise von Preußen, Karl Friedrich Schinkel, Fürst Pückler-Muskau, Theodor Fontane und die Könige Preußens sowie die »Gebrauchsanweisung für England« und die »Gebrauchsanweisung für Schottland«. Er veröffentlichte auch unter dem Pseudonym N. Wendevogel.