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Malerei im Zeitlosen

Heinz Ohff im Tagesspiegel am 1.12.1983

 

Hermann Krauth, seit 1978 als Petrick- und Stöhrer-Schüler in Berlin ansässig, gehört zu den kraftvollsten und überzeugendsten Talenten, die in letzter Zeit aus jener Berliner Malschule hervorgegangen sind, die sich langsam abzuzeichnen beginnt. Wo andere Erwartungen wecken und Versprechen abgeben, kann er mit seiner Malpranke schon überzeugen.

Carsta Zellermayer, die das junge Talent früh unter ihre Fittiche genommen hat, zeigt im Augenblick neue Bilder und Zeichnungen, die sich auch durch ihre moderate Preisgestaltung empfehlen. Weder der Künstler noch die Galeristin machen, wie es scheint, jenen Höhenflug mit, den die Preise für Arbeiten selbst jüngster Maler dieser Richtung angesichts der vorherrschenden Konjunktur angetreten haben. Seit der für diese Richtung besonders erfolgreichen Kölner Kunstmesse sind sie nochmals in Bereiche gestiegen, die normalen Kunstsammlern unerreichbar sind. Am Ende werden nur noch Kunstspekulanten sie zahlen können und jedes eilig gemalte neo-expressionistische Gemälde flugs in irgendeinem Tresor verschwinden lassen. Keine angenehmen Aussichten – beinahe möchte man sich eine baldige Baisse herbeiwünschen.

Aber wir sind hier nicht im Wirtschaftsteil, obwohl die neo-expressionistische Malerei inzwischen beinahe eher in ihn als ins Feuilleton gehören dürfte. Nicht so Krauth. Er kümmert sich wenig um kunstfremde Begriffe wie Angebot und Nachfrage, sondern malt sich weiter in einen Stil hinein, der sich durch seinen Gestus von den „Heftigen“ doch sehr unterscheidet. Nach der imposanten Reihe seiner Kreuzigungen hat er – ebenso intuitiv wie systematisch – zwei weitere klassische Themen aufgegriffen und sie ohne Überstrapazierung oder Krampf in seine eigene Bildsprache übertragen, das Thema der Verfolgung und das der Stürzenden. Das geschieht in den groß- und kleinformatigen Bildern und Gouachen in zuweilen hellen, freudigen, der Thematik (anscheinend) zuwiderlaufenden Farben, was wiederum – auch im Duktus – auf jenen Maler zurückverweist, den man, ohne dass je eine persönliche Begegnung erfolgt ist, als Krauths dritten Lehrer bezeichnen darf: Willem de Kooning. Wie bei ihm mischen sich Figürlich-Expressives und Gestisches zu einer eigenen, inzwischen unverwechselbar gewordenen Handschrift, die jedoch niemals zum Selbstzweck wird. Der Malakt bleibt zwar vorhanden, tritt aber hinter die eigentliche Aufgabe zurück oder was Krauth als eigentliche Aufgabe sich gesetzt hat: Verfolgung (oder Höllensturz) malerisch zu definieren, in eine neue und gültige Formel zu bannen, innen das Zeitlose gleichsam durch Aktualisierung zurückzugeben. Ein Einzelgänger bricht sich Bahn durch ein Heer von Mitläufern und macht nachhaltig auf sich aufmerksam. Das hat, wie mir scheint, mehr Zukunft als die meisten ringsum lodernden Strohfeuer von heute.

Heinz Ohff, geboren 1922, gestorben am 24. Februar 2006 in Berlin, war von 1961 bis 1987 Feuilletonchef des Berliner »Tagesspiegel«. Von ihm liegen zahlreiche Biographien vor, unter anderem über Königin Luise von Preußen, Karl Friedrich Schinkel, Fürst Pückler-Muskau, Theodor Fontane und die Könige Preußens sowie die »Gebrauchsanweisung für England« und die »Gebrauchsanweisung für Schottland«. Er veröffentlichte auch unter dem Pseudonym N. Wendevogel.

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